Wieder einmal ein Wochenende. Ein Wochenende mit (hier zumindest) schönem Wetter, Sonnenschein und verdienter Ruhe nach einer anstrengenden Woche. Ein Wochenende, um auf der Terrasse über Frust nachzudenken. Aber was denn für ein Frust? Achtung, die nächsten Absätze enthalten auch eine Menge Jammern – aber das war bei einem Post mit dem Titel „Wochenend-Frust“ irgenwie zu erwarten, oder?
Hier in Hannover ist die Corona-Inzidenz seit dem Wochenende bereits wieder bei über 35. Mein Fitnessstudio hat bereits angekündigt, dass sie Duschen und Umkleiden wohl wieder schließen müssen. Wir wissen alle, dass es dabei nicht stoppen wird. Die 50 ist höchstens 1-2 Wochen entfernt und auch die 100 wird kommen. Ich vermute (für Hannover): spätestens Ende August. Schon die Vorstellung und die Aussichten lähmen mich. Es fängt alles wieder von vorne an. Ich habe keine Kinder, ich will mir gar nicht vorstellen, was diese Aussichten für Eltern mit Kindern bedeuten, die sich schon jetzt darauf einstellen können, dass es nach den Sommerferien wieder mit bestenfalls Wechselunterricht und schlimmstenfalls Homeschooling losgeht. Aber auch ohne Kinder und in einer komfortablen Situation nimmt mir die Aussicht die Luft zum Atmen. In einer Art vorauseilendem Gehorsam sitze ich auf meiner Terrasse, bemitleide mich selbst und verliere langsam die Hoffnung.
Dabei ist das Schlimmste nicht, dass erst die Clubs und dann die Restaurants wieder zumachen werden, dass Kultur seit 1,5 Jahren nur häppchenweise, mit starken Einschränkungen oder digital stattfindet und Sozialkontakte langsam zum Luxusgut werden. Das ist schlimm und über die Kollateralschäden dieser Pandemie will ich gar nicht nachdenken. Wir alle kennen die alarmierenden Meldugen, dass Gewalt im familären Umfeld ansteigt, vom Verlust an Bildung, aber auch einfach an Mögilchkeiten, das Leben kennen zu lernen für die nachfolgende Generation ganz zu schweigen. Geschlossene Fitnessstudios klingen da nach einem zu vernachlässigenden Problem – aber die gesundheitlichen Auswirkungen werden wir alle erst in den kommenden Jahren langsam spüren.
Aber, wie gesagt, das ist bei weitem nicht das Schlimmste. Wirklich schlimm, wirklich dramatisch, kaum zu ertragen und die Hauptursache für meinen Frust ist die Ursache, die dahinter steckt. Pandemie ist kacke. Aber endlich haben wir etwas dagegen in der Hand: die Impfung. Eine Impfung, die uns ermöglichen könnte, diese Pandemie soweit einzudämmen, dass sie handhabbar bleibt und wir nicht wieder alles dicht machen müssen. Aber offenbar kriegen wir nicht einmal das hin. Nicht einmal die persönlichen Freiheiten, das eigene Vergnügen und die Zukunft unserer Kinder sind uns wichtig genug, damit sich (zügig, also JETZT) alle, die können, impfen lassen. Erst seit kurzem haben wir genug Impfstoff für Alle. 2 Millionen Dosen am Tag könnten wir verimpfen, aber nur 500.000 am Tag werden auch tatsächlich verabreicht. Es scheitert nicht mehr am Impfstoff, nicht mehr an der Politik, bei der weiß Gott genug schief gegangen ist in den letzten 1,5 Jahren – es scheitert an uns, an jedem von uns, der sich nicht aus medizinischer Notwendigkeit, sondern auf Grund von Zweifeln, allgemeiner Impfskepsis oder irgendwelcher Verschwörungsmythen nicht impfen lassen will.
Zurück zum Thema. Also, Pandemie ist kacke. Das Virus hat schon viele Menschenleben gefordert und wird noch viele weitere fordern. Wir haben es in der Hand, jeder kann sich impfen lassen – und wir könnten Druck auf die Politik ausüben, für eine global gerechte Verteilung der Impfstoffe sorgen. In dieser Pandemie sitzen wir nämlich alle in einem Boot. So gesehen könnte man die Pandemie als Generalprobe für das sehr viel größere, globale Problem ansehen, in dem wir auch bereits mitten drin stecken, wenn wir es auch meistens noch nicht so merken: der Klimakatastrophe. Die Generalprobe (Pandemie) verkacken wir gerade grandios und mit Ansage. Und die Klimakatastrophe?
Gerade erst haben wir mal wieder die ersten Ausläufer dessen zu spüren bekommen, was da auf uns zukommt: Starkregen und Überflutungen, Tod und Verwüstung durch Wassermassen hier direkt vor unserer Haustür. Übrigens ebenfalls in China. Außerdem Dürre und Feuerkatastrophen in Kalifornien. Wer den Wissenschaftlern zuhört, weiß, das ist erst der Anfang. Trotzdem endet wenige Tage nach den verheerenden und eigentlich aufrüttelnden (?) Ereignissen hier bei uns der G20 Gipfel in Neapel, wieder einmal, ohne greifbares Ergebnis. „Wir wollen ja, aber ach…“ ist der Tenor. „Die Wirtschaft! Das ganze schöne Wirtschaftswachstung! Das einfache und komfortable Leben! Und besonders: die Interessen der Wirtschaft, der Konzerne!!“ Dabei läuft die Zeit uns davon. Genaugenommen tut sie das schon seit mindestens 25 Jahren, damals gab es die ersten Warnungen vor dem Klimawandel, die weitgehend ungehört und unbeachtet verhallten. jetzt allerdings haben wir die letzte Chance, noch etwas zu ändern. Es ist nicht 5 vor 12, es ist allerhöchstens noch 1 Sekunde vor 12.
So, und was machen wir jetzt? Wir alle kennen die Aufrufe zu nachhaltigerem Verhalten. Keine tierischen Produkte konsumieren ist übrigens die größte Einzelmaßnahme, die jeder sofort umsetzen kann. Statt Auto- mehr Fahrrad fahren (und ÖPNV, auch wenn das aktuell als Tipp nur so mäßig gut ankommt), weniger Flugreisen. Müll reduzieren, insbesondere Plastik. Überhaupt, den eigenen Konsum mal in Frage stellen, umstellen auf Nachhaltig und Bio und ein Elektroauto. Das ist alles wichtig, wirklich, ist es!
Das Wichtigste wäre aber die sofortige Abkehr von der Nutzung fossiler Brennstoffe. Kohlekraftwerke abschalten, das wäre der größte, der wichtigste Schritt, damit könnten wir so viel mehr CO2 einsparen, als mit Mülltrennung und wassersparend duschen jemals zu erreichen wäre. Wir wissen, dass das möglich wäre. Wir wissen, dass wir mit Wind und Sonne genug Energie produzieren können. Technisch ist es nicht mehr das Problem. Es bedeutet z. B. mehr Windkrafträder. Die sind nicht wirklich eine Verschönerung der Landschaft – aber doch deutlich besser, als wenn die „Landschaft“ durch die veränderten Klimaverhältnisse in Wasser und Schlamm versinkt oder verdorrt und ggf. verbrennt – oder? „Aber bitte nicht vor meiner Haustür“ – tja, das wird schwierig, irgendwo müssen sie halt hin. Ganz ehrlich: ich hab ein paar Jahre wenige 100 m von einem Windrad entfernt gewohnt, das ist wirklich kein Drama! Schon gar nicht im Vergleich mit den Umweltkatastrophen, die uns durch unseren ausbeuterischen Umgang mit der Umwelt bevor stehen.
Die Politik würde die notwendigen Veränderungen nur dann konsequent angehen, wenn wir, also WIR ALLE, das massiv einfordern und sie so unter Druck setzen, dass sie die Interessen der Menschen (ein lebenswertes Leben!) vor die Interessen von Wirtschaft und Konzernen stellen. Das wiederum können wir nur, wenn wir alle zusammen halten, wenn wir uns einig sind, wenn wir es wirklich wollen und es für uns Priorität hat.
Genau da bin ich bei meinem Wochenend-Frust angekommen: wenn wir es schon nicht einmal schaffen, uns geschlossen gegen eine Krankheit impfen zu lassen, die uns sonst unsere Freiheit nimmt und allen Ungeimpften das Leben nehmen kann – wie sollen wir da genug Einigkeit herkriegen, um die Politik ausreichend unter Druck zu setzen? Ist es ein von vornherein verlorener Kampf, weil wir lieber bequem auf dem Sofa dem Untergang der Welt zuschauen (ja, melodramatisch, aber hei: genau darum geht es letztendlich!) als klar, laut, deutlich und unmissverständlich dafür zu sorgen, dass diese Welt für uns alle lebenswert bleibt?
Meine Hoffnung liegt aktuell ziemlich am Boden. Und Ihr so?