Ich fahre, so im bundesdeutschen Durchschnitt betrachtet, recht viel mit dem Fahrrad. Im Schnitt etwa 100 km pro Woche, etwa 5.000 km pro Jahr. Auch im Winter, sofern die Strecke nicht vereist ist und auch bei Regen bin ich überwiegend mit dem Fahrrad unterwegs. „Vor Corona“ bin ich bei fiesem Wetter mit der Bahn gefahren, seit Beginn der Pandemie habe ich das gelassen. Ich bin kein Fahrradliebhaber, ich fahre nicht deshalb mit dem Fahrrad, weil ich Fahrradfahren an sich so toll finde und so großen Spaß daran habe (hab ich manchmal auch, ist aber definitiv nicht meine Hauptmotivation), sondern aus rein sachlichen Gründen: es ist viel, sehr viel billiger, als mit dem Auto zu fahren und es schont die Umwelt. Das Fahrrad ist für mich in erster Linie ein Fortbewegungsmittel und darüber hinaus eine Möglichkeit, den eigenen CO2-Abdruck zu verringern. Gerade deshalb wünsche ich mir, dass noch viel mehr Menschen mit dem Fahrrad fahren. Naja, wenn das mal so einfach wäre. Ich fange mal mit einem Erlebnis an, vielleicht wird ja eine kleine Serie daraus – hab ich doch gerade 2,5 größere Absätze hier gelöscht, weil sie zu sehr abschweiften. Ich versuche also zur Abwechslung mal beim Thema zu bleiben.
Neulich fahre ich, wie jeden Morgen, so zur Arbeit. Nachdem ich, dank „gut durchdachter“ Fahrradführung einmal vor und einmal direkt nach der Brücke über den Mittellandkanal die Straßenseite wechseln durfte (ja, ich ärgere mich jeden Morgen wieder darüber), stehe ich direkt vor der Situation in dem Bild. Da steht ein Auto, warnblinkend, mitten auf dem Fuß- und Radweg. Etwas erbost habe ich die darin sitzende Fahrerin also gefragt, ob es ihr noch gut geht, dass sie da so rumsteht. Zugegeben: es ging ihr nur so mittelgut. Sie hatte eine Panne mit dem Auto und war selbst ziemlich nervös. Zunächst deshalb: ich kann ihre spezielle Situation verstehen. So viele Autos haben ja auch nicht gleichzeitig eine Panne und wenn es nur diese Situationen wären, wäre das absolut zu verschmerzen. Was mir zu denken gegeben hat, war die Aussage: „ich wollte den Autoverkehr nicht behindern, deshalb hab ich mich hier auf den Fußweg gestellt“. Hm, ja. Den Fußweg teilen sich an dieser Stelle Fußgänger mit Radfahrern in beiden Richtungen (ganz legal). Um die Zeit ist die Strecke auch ziemlich belebt. Offenbar ist es trotzdem eingängiger, hier die Fußgänger und Radfahrer einzuschränken und zu gefährden, als den Autoverkehr aufzuhalten, indem man warnblinkend auf der Straße hält. Wie gesagt, wären das nur die Autofahrer mit den fiesen Pannen, die so handeln würden, hätte ich gar kein Problem. Blöderweise sind es aber auch die Lieferwagen- und Taxifahrer, die „Nur-schnell-zum-Bäcker-Geher“, die „Ich-bin-ja-gleich-wieder-da-Sager“ und vor Allem die „Ich-werd-hier-ja-wohl-kurz-mal-parken-dürfen-Motzer“ die, nicht nur hier, sondern überall in der Stadt, die Fuß- und Radwege und Fahrradstreifen zustellen und erwarten, dass der nicht-motorisierte Verkehr sich irgendwie um sie herum bewegt. Ja, Fußgänger und Radfahrer sind kleiner und wendiger als Autos und können deshalb leichter mal ausweichen. Sie sind aber auch weniger gut geschützt und deshalb stärker gefährdet, sollen es aber trotzdem ausbaden? Über Kinderwagen, Rollatoren, Rollstühle usw. haben wir dabei noch gar nicht gesprochen.
Ich vermute ja, dieses Verhalten hat einen historischen Hintergrund. Schon im Mittelalter wurde erwartet, dass das Fußvolk den Herrschaften in den Kutschen ausweicht. Daran hat sich nicht viel geändert: Herren der Straße sind die Blechkutschen. Diese werden möglichst wenig aufgehalten und behindert (da hätte ich schon die nächsten 2-3 Folgen dieser Serie im Kopf), schon gar nicht durch diejenigen, die sich gänzlich ohne Pferdestärken durch die Stadt bewegen. Wer sich mit seiner Blechkiste gerade nicht voran bewegt, räumt deshalb auch pflichtschuldigst den Weg frei für andere Autos, auf dass der Autoverkehr unbehindert weiter rollen kann.
Ich meine, wir müssen das Befahren und Beparken von Fuß- und Radwegen stärker tabuisieren. Wenn es an so vielen Orten gestattet oder geduldet wird, ist es kein Wundert, dass die erste Assoziation bei einer Panne ist „ich darf den Autoverkehr nicht aufhalten, also rauf auf den Fußweg“. Helfen würde es, wenn die Gesetze hier verschärft werden würden. Wobei es im ersten Schritt vermutlich reichen würde, die geltenden Gesetze auch durchzusetzen und Verstöße konsequent zu ahnden (und Verstöße meldende Radfahrer nicht 20 Minuten neben einem den Radweg blockierenden Autofahrer warten zu lassen und dann doch nicht aufzutauchen – Gruß an dieser Stelle an die hannoversche Polizei und nein, es ging nicht um diese Autofahrerin). Auch als Gesellschaft müssen wir hier umdenken und zumindest die Fuß- und Radwege als alleinige Verkehrswege für Fußgänger und Radfahrer beanspruchen. In unseren Köpfen fängt die Veränderung an, da sollte es sich nicht mehr „normal“ anfühlen, dass da halt mal eben ein Auto auf dem Fuß- oder Radweg steht. Solange Fahrradfahrer, die sich über Behinderungen durch den Autoverkehr beschweren, die „Bösen“ sind, bleibt die Situation, wie sie ist. Ich vermute, jeder Fahrradfahrer hat sich über eine ähnliche Situation schon einmal geärgert, wollte aber nicht als kleinlicher Radfahrer dastehen und hat sich kommentarlos irgendwie durchgeschlängelt. Ich glaube, in den letzten Jahren hatte ich keine Fahrt in Hannover, bei der ich nicht mindestens einmal in genau dieser Situation war.
Wenn ich mir das nochmal so durchlese, denke ich „wow, das ist viel“. Meistens ist es mir in dem Moment ja gar nicht so bewusst, es läuft so unbewusst mit: „ach ja, wieder ein Autofahrer, der mir den Weg verstellt“ – und damit geht es weiter. Es sind zu viele, um sich auch nur gedanklich mit jeder dieser Situationen aufzuhalten. Damit sich etwas ändert, ist ein kleines Verschieben des Wertesystems notwendig. Vielleicht ist das eine gute Übung, denn wenn wir unsere Erde noch retten wollen, müssen wir in noch viel mehr Bereichen umdenken. Fangen wir also ruhig mal an, bei den Fuß- und Fahrradwegen und den „gefühlten Rechten“ der Autofahrer.