Gestern war es wieder soweit: mein RTL-Fernsehabend. Mit einer Mischung aus Abscheu und Mitleid verfolge ich die Sendungen, die RTL Mittwoch Abend bringt. Es geht los mit der Super-Nanny. Zunächst werden rein beobachtend die Dinge vorgestellt, die in der Familie schief laufen. Naheinstellung auf dreckige Ecken, ruppiger Umgang, gemeiner Umgangston. Dazwischen eine kopfschüttelnde Nanny, die der Familie ihre Verfehlungen auf Video vorspielt, der Familie ins Gewissen redet und dann die ganze Familie umkrempelt. Innerhalb von nur wenigen Tagen ändert sich das Zusammenleben der Familie und nebenbei krempelt die Nanny den Haushalt um, vermittelt Jobs und Ausbildungsplätze, verhandelt mit Jugendämtern und Kinderhäusern und wenn sie geht ist alles gut und die Familie glücklich. Was jedem halbwegs intelligenten Zuschauer sofort einleuchtet: das kann so wohl nicht ganz stimmen. Ob da wohl was inszeniert ist? Unwahrscheinlich, oder? Würde RTL solche Sendungen ausstrahlen, wenn sie nicht zu 100% wahr wären? Sicher nicht! Holger Kreymeier meint, vielleicht ja doch….
So überwältigt von wieder hergestellter Familienharmonie geht es nahtlos weiter zur nächsten Baustelle: Der Schulden-Peter rückt an, um eine Familie aus den Schulden zu retten. Er rechnet, zeigt auf, findet Schlupflöcher, zeigt Verschwendungen, Rechnungsfehler und falsche Vorgehensweisen auf, sieht nebenher die Familienkrise und löst Eheprobleme oder Spielsucht, vermittelt Jobs. Am Ende der von mir verfolgten Sendungen war bisher noch keine Familie „Raus aus den Schulden“ – lediglich einige drängende Probleme wurden ausgehandelt und die komplette Lösung auf später verschoben. Was mir insbesondere fehlt, wäre eine Lösung für eine überschuldete Familie ohne Insolvenz und wo es am Ende wirklich so ist, dass der Peter ohne bedenkliches Kopfschütteln geht und die Familie ist vielleicht noch nicht komplett raus aber sie hat alles im Griff.
Bei beiden Formaten steht fest: sie wecken erstmal hohe Erwartungen. In wenigen Tagen von der zerrütteten Chaos-Familie zur perfekten Familie Strahlemann & Söhne. In wenigen Wochen von drohender Obdachlosigkeit durch Überschuldung zu einem sorgenfreien Leben. Jobs, Geld, Eheglück gibt es quasi gratis obendrauf. Der Preis dafür: Die ganze Fernsehnation weiß von meinen Eheproblemen, meinen Dreckecken und meiner nicht bezahlten Kindergartenrechnung. Wie verzweifelt muss man sein, um diesen Schritt zu wagen? Und werden die hohen Erwartungen erfüllt? Ich würde daran zweifeln, RTL will nicht helfen, RTL will Quote. Die Verbesserungen können allenfalls oberflächlich sein, denn tiefgreifende Veränderungen brauchen Zeit. Und Zeit hat RTL beim Dreh nicht. Das muss schnell gehen: Spektakuläre Szenen rein in die Kamera, Kommentare von oben herab von Nanny und Peter dazu, dazu die Aussagen der betroffenen, Ansteigend von betreten und verzweifelt bis überglücklich, das macht eine gute Sendung aus. Wie es den Familien hinterher geht, dürfte RTL egal sein.
Wer nicht ganz so verzweifelt ist oder sich keine Chancen ausmalt, dass die Nanny oder der Peter tatsächlich mit dem Rundum-Sorglos-Paket bei ihm anrücken, versucht es vielleicht auf die fernsehfreie Tour: Er sucht Hilfe beim Jugendamt oder bei Beratungsstellen. Und wird schnell feststellen, dass die nicht bei RTL arbeiten, sonst könnten die solche Probleme sicher auch im Handumdrehen lösen. Da ist viel mehr Mitarbeit gefordert, vielleicht kommt eine Erziehungshelferin einmal pro Woche, schaut drauf und gibt Tipps, aber sie begleitet eine Mutter nicht vom Einkaufen bis zum Einschlafen der Kinder und löst nebenher noch die Probleme in der Partnerschaft. Ein Schuldnerberater hilft mit Gläubigern zu verhandeln und die eigenen Schulden zu beurteilen, aber er wird weder den Bittgang zur Verwandtschaft übernehmen noch Jobs oder Wohnungen suchen und begutachten – ich erwähnte es ja neulich schon.
Zu guter letzt kam dann gestern noch Stern-TV. Dabei ging es unter anderem um eine Rottweiler-Hündin, die Anfang des Jahres ein Kind gebissen hat. Eine ganz schlimme Geschichte, ich will das überhaupt nicht verharmlosen: der Junge hat schlimme Verletzungen im Gesicht und am Kopf davon getragen, so etwas darf natürlich nicht, unter gar keinen Umständen, passieren!!! Jetzt wurde der Hund mit viel Aufwand wieder gefunden. Die Behörden wollten RTL nicht verraten, wo der Hund jetzt ist (wohl aus gutem Grund, was auch immer dabei herauskommt, an „alles gut, alles unter Kontrolle, alles richtig gemacht“ ist RTL schließlich nicht interessiert). Sie haben ihn gefunden. Und natürlich ging etwas schief. Der Hund jagte ein Huhn und hat es getötet. Das ist natürlich ein sehr ungewöhnliches Verhalten für ein Raubtier…. nun, das tote Huhn war für RTL jedenfalls Grund von einem neuen „blutigen Beissunfall“ zu sprechen. Natürlich zunächst einmal ohne zu erwähnen, dass ein Huhn gebissen wurde, kein Kind. Natürlich sollte auch das nicht passieren. Das ist mehr als unglücklich gelaufen, vor allem vor laufender Kamera. Aber der Jagdtrieb macht einen Hund noch nicht zur blutrünstigen, Menschen zerfleischenden Bestie. Hier werden nicht nur Äpfel mit Birnen verglichen, sondern Äpfel und Bananen für gleich erklärt. Der Vorfall an sich ist nicht in Ordnung, die Berichterstattung darüber ist niveaulos.