Nach dem arabischen Frühling ging es plötzlich auch im Westen los. Die politische Stimmung kocht, das liegt daran, dass eine Krise die nächste jagt. Immer wieder versuchen uns die Politiker zu erklären, sie hätten die Krise jetzt im Griff. 2008 die Bankenkrise, Banken gerettet, alles gut. Jetzt die Eurokrise, Irland häuft zu viele Schulden an, Griechenland, ein neuer Gipfel, ein neues Hurra. Nur von kurzer Dauer, die Griechen machen klar, dass sie die Bedingungen nicht akzeptieren, eine Volksabstimmung wird angesetzt, die Demokratie scheint zu siegen – aber schon wird sie wieder abgesagt. Italien feiert den Rücktritt von Berlusconi und glaubt, mit Monti das Blatt werden zu können. Die Banken müssen mal wieder gerettet werden, zwischendurch scheiterte auch Obama fast an den Staatsschulden, trickste sich aber wieder raus.
Da ist es kein Wunder, dass die Menschen immer mehr das Gefühl haben, dass hier die Macht falsch verteilt ist. Da haben die Banken die Geschicke ganzer Staaten in der Hand und für diese Machtposition werden sie auch noch von den Staaten gepampert und mit Rettungsschirmen aufgepäppelt, wenn sie sich verkalkuliert und verspielt haben. Gegen die Macht der Banken und soziale Ungerechtigkeiten gingen die Menschen auf die Straße. Mit Occupy Wall Street fing es an und schwappte über. An verschiedenen Orten entstanden Occupy-Camps, für Ihre Überzeugungen und Ihre Forderungen zogen die Menschen nicht nur auf die Straßen, sie blieben auch da: auf den Straßen. In Zelten, über Wochen und Monate hinweg. Gelebte Demokratie, eindrucksvolle und dabei friedliche Demonstrationen, die über alle Unterschiede hinweg das gleiche Elend anprangern. Das Internet spielte eine wichtige Rolle bei der Verbreitung dieser Bewegung, aber auch ohne Technik verständigen sich die protestierenden Menschen, bedienen sich des „human microphones“, wo keine Lautsprecher möglich sind.
Das ist so unglaublich, so beeindruckend, so faszinierend – und so wichtig, denn es zeigt eine Meinung, eine Stimmung und eine Tendenz, die die Politiker nicht dauerhaft ignorieren können. Fassungslos haben Politiker und Banken sich das Spektakel einige Wochen angeschaut. Da machen die Bürger ernst, die gehen tatsächlich raus und stehen für ihre Überzeugungen ein! Tja, nun muss es aber auch reichen. Unerwartet werden jetzt Occupy-Camps geräumt. Überraschend ist vor Allem, dass es überall gleichzeitig passiert: New York, Zürich, London, an all diesen Orten werden die Camps aufgelöst und die Demonstranten vertrieben. Vielleicht ist der zeitliche Abstand auch nur deshalb so gering, weil sich zeigt, dass die Demonstranten wirklich friedlich sind. Sie protestieren, aber sie kämpfen nicht mit Gewalt.
Ob das jetzt das Ende darstellt, zumindest einläutet? Ich weiß es nicht, aber ich hoffe, dass der Protest weiter geht. Friedlich, miteinander und vernetzt, ohne Gewalt, so wie es die demokratischen Grundordnungen vorsehen. Denn der Souverän ist das Volk – das darf jetzt gerne auch mal souverän agieren und die Karten neu verteilen. Ich hoffe darauf. Darauf wetten würde ich nicht, Veränderungen machen Angst, der Leidensdruck muss schon sehr groß sein, bevor es dazu wirklich kommt.