Ich habe 1991 in Bayern Abitur gemacht. Mit einem eher mäßigen Abschluss (2,8, na, das war jetzt keine Bestleistung), dafür galt zu dieser Zeit ein bayerisches Abitur noch als etwas Besonderes. Schon damals war aber die Entwicklung erkennbar: mit Abitur kann man selbstverständlich studieren, aber auch für eine Ausbildung etwa als Bankkaufmann wurde Abitur schon als praktisch selbstverständlich voraus gesetzt. Mit viel Glück und Beziehungen hatte man da auch noch mit einem sehr guten Realschulabschluss eine Chance, mit einer durchschnittlichen „Mittleren Reife“ musste man sich da in jedem Fall nicht mehr bewerben.
Ich habe dann ein bisschen Lehramt studiert (und festgestellt, dass unterrichten nicht mein Ding ist), eine Ausbildung als Arzthelferin gemacht und arbeite nun in einem Bereich, für den man kein Abitur braucht: als Fußpflegerin sowie im Webbereich. Dafür wäre mehr unternehmerisches und wirtschaftliches Grundwissen sinnvoll gewesen, das hätte man vielleicht eher an der Wirtschaftsschule gelernt, die es bei uns auch gab, da war ich aber nicht. Dafür kann ich Latein, hätte um ein Haar Altgriechisch lernen müssen und kann die Vererbungslehre gemäß Mendel und darüber hinaus erläutern.
Schon damals, 1991, war es mit einem Hauptschulabschluss schwieriger eine gute Ausbildungsstelle zu bekommen. Immerhin, in den meisten handwerklichen Berufen und auch als Einzelhandelskaufleute hatten sie gute Chancen. Heute sieht das anders aus. Ein Hauptschulabschluss wird nicht mehr als qualifiziert wahrgenommen, Perspektivlosigkeit unter den Schülern wie ihren Lehrern führt zum „Berufswunsch Hartz4“ – na klar, da wird den Schülern ja auch von allen Seiten eingeredet, sie würden nichts können, wären für nichts gut genug und nicht qualifiziert für irgend etwas.
Gleichzeitig sinkt auch das Niveau an den anderen Schulen. Da die Hauptschule keine Aussichten auf einen ordentlichen, gut bezahlten Beruf mehr bringt, müssen die Kinder wenigstens die Realschule besuchen, am Besten gleich das Gymnasium. Völlig unabhängig davon, ob sie die Voraussetzungen und Neigungen dafür mitbringen, werden sie durch eine Schulform geschleppt und gescheucht, die sie in vielen Fällen überfordert und zu Frust und frühen Depressionen führt. Das tut das Gefühl der Hauptschüler, nichts wert zu sein, allerdings auch. Die flächendeckende Verabreichung von Antidepressiva kann dabei nicht die Lösung sein.
Die Hauptschule soll jetzt mit der Realschule zur Oberschule zusammen gefasst werden, Gymnasium bleibt. Der andere Ansatz wäre die generelle Einführung von Gesamtschulen. Ich bin ehrlich: das ist mir völlig egal. Ob wir eine Schule für alle haben oder drei verschiedene Schulen oder fünf – mir wäre es wichtig, dass die Schüler viel mehr gefördert werden. Auch bei dem niedrigsten Schulabschluss muss es möglich sein, dass alle Schüler eine ordentliche Rechtschreibung beherrschen, sich vernünftig ausdrücken können, die Grundrechenarten und den Dreisatz beherrschen und ein grundlegendes Wissen über Geschichte, Politik und Wirtschaft mitbringen. Wenn das nicht möglich ist (und im Moment scheint es nicht möglich zu sein), dann liegt das nicht an zu dummen Schülern. Es liegt auch nicht daran, dass zu viele Schüler mit Migrationshintergrund da sind, das ist nämlich einfach ein gesellschaftlicher Fakt, damit müssen und wollen wir leben und das das Beste daraus machen – im absolut positiven Sinne, denn das ist auch eine große Bereicherung für die Gesellschaft. Es liegt daran, dass wir nicht gewillt sind, die Schülern nach ihren Möglichkeiten zu fördern. In kleinen, individuell aufgeteilten Gruppen lernt es sich viel besser, kann viel mehr Wissen vermittelt werden. Ein transparentes, durchlässiges System, dass allen Schülern Chancen gibt, das wäre mein Wunsch. Das kostet Geld, das ist mir klar – aber dafür scheint es mir gut angelegt, Geld in die Bildung und die Schulen zu stecken bedeutet ja, in unsere Zukunft zu investieren.