Es ist kein reines Vergnügen, in dieser Jahreszeit früh aufstehen zu müssen. Morgens um halb sieben, wenn der Wecker klingelt, lausche ich deshalb auch erstmal, ob ich Regen auf dem Dach hören kann. Ich schlafe direkt unter einem Dachfenster, höre ich nichts, ist es entweder trocken, oder es schneit. Dann folgt der Blick aus diesem Dachfenster: wie nass sehen die Straßen aus? Liegt Schnee? Es folgen Aufstehen und rein in die warmen Klamotten, dann geht es mit dem Hund raus. Um kurz nach halb sieben ist es stockdunkel, aber zunächst gehen wir ein Stück unsere Straße hinunter, da brennen die Straßenlaternen. Die meisten Fenster sind noch dunkel, gelegentlich sieht man hinter einem erleuchteten Fenster Leute mit wirren Haaren und im Bademantel, die als erste, morgendliche Tätigkeit die Kaffeemaschine einschalten. Wenn ich spät dran bin kommen mir manchmal auch schon diejenigen entgegen, die mit der Bahn zur Arbeit fahren müssen. Heute morgen war ich früh dran, leichter Nieselregen, kalt, nass und kein Mensch unterwegs. An der Ecke bin ich Richtung Feld abgebogen. Zwischen Ecke und Feld kreuzen noch zwei kleine Querstraßen den Weg, aus einer Querstraße kam eine Frau: warmer Rock, Pullover, keine Jacke, lange, wirre Haare. Nicht mehr jung, aber sehr aufrecht kam sie langsam auf mich zu, in der Hand eine Taschenlampe. Die Straße war von den Laternen beleuchtet und sie bewegte sich in Richtung Ortsmitte, die Lampe fand ich deshalb ungewöhnlich. Sie kam mir entgegen, als wir ungefähr auf einer Höhe waren habe ich ihr einen guten Morgen gewünscht. Sie blieb daraufhin wortlos stocksteif stehen, die Lampe neben sich auf den Boden gerichtet, den Blick an mir vorbei strikt geradeaus und wartete, bis ich vorbei war. Dann ging sie genauso wortlos und mit ihrer Lampe vor sich leuchtend weiter.
Den ganzen Weg durch das dunkle Feld hat mich die Begegnung beschäftigt. Was macht die frühmorgens ohne Jacke mit einer Taschenlampe auf der Straße? Was war das für eine seltsame Reaktion auf einen freundlichen Gruß? Gut, ich bin ein wenig morgenmuffelig, aber so schlimm kann mein „Guten Morgen“ nicht ausgefallen sein – oder doch? Auf dem Rückweg habe ich sie nicht mehr gesehen, ob sie mir wohl nochmal über den Weg läuft?