Ein Rest Hoffnung bleibt ja immer. Das war bei der Landtagswahl in Niedersachsen so. Am 20. Januar um 18 Uhr bei der Wahlparty habe ich zwar nicht mehr daran geglaubt, dass es für die Piraten wirklich für den Einzug in den Landtag reichen würde, trotzdem traf mich eine Welle der Enttäuschung, als die erste Prognose rein kam. So viel Arbeit, so viel Herzblut, so schade… Auch bei der Bundestagswahl am 22. September war es nicht viel besser. Ich war im Gegensatz zur Landtagswahl keine Kandidatin und statt in der Faust trafen wir uns in der Wahlkampfgeschäftsstelle in Hannover, aber einen bitteren Geschmack hatte das Wahlergebnis auch dieses Mal, denn:
Wir haben es verkackt!?!
2,2 Prozent, das ist weit, weit entfernt von den mindestens 5 Prozent auf die wir gehofft und für die wir gekämpft haben. Haben wir es verkackt? Etliche sagen ja. Andreas Neugebauer, z.B. sieht das so. Jan Leutert sah das schon bei der Landtagswahl so. Etliche andere Blogs schreiben darüber, Piraten und nicht Piraten sind sich einig: Die Piraten haben es verkackt. Ja? Haben sie das?
Ich sage nein!
Wir haben es nicht verkackt. Was nicht heißt, dass wir die Chance nicht noch haben, das können wir durchaus immer noch. Aber es ist völlig unabhängig davon, ob wir ein Wahlergebnis diesseits oder jenseits der 5 Prozent einfahren. Verkackt haben wir, wenn wir unsere Ziele aufgeben, damit wir ein Wahlergebnis jenseits der 5 Prozent erreichen. Gerade im Moment werden die Stimmen, die genau das fordern, wieder lauter.
Warum wurden die Piraten 2011/2012 gewählt?
Ich meine, mal ehrlich: waren die Piraten 2011 weniger chaotisch? Haben Sie sich weniger gestritten? Waren sie besser in der Kommunikation und in der Verbreitung ihrer Ziele? Waren sie professioneller, hatten sie eine bessere Struktur? Nein, nichts von alledem. Sie waren neu, sie waren aufregend. Sie wurden gewählt, weil sie anders waren, weil sie das Versprechen auf grundlegende Veränderungen mitbrachten und gerade durch die eher kleine programmatische Grundlage jeder sich irgendwie in die Piraten rein-identifizieren konnte.
Warum jetzt nicht mehr?
Die Piraten wurden gewählt und sie fingen an Politik in den Landtagen und kommunalen Gremien zu machen. Dabei stellten Wähler und Piraten enttäuscht fest: kleine Oppositions-Fraktionen stellen die Politik nicht von heute auf morgen auf den Kopf. Noch dazu bestanden die Fraktionen aus Menschen, die zwar guten Willens, alles anders zu machen, aber auch unerfahren in den Gremien waren.
Zugleich haben die Piraten, haben wir aber auch versucht, den Ansprüchen gerecht zu werden, die an uns gestellt wurden. Wir versuchten professionell zu werden und antworten auf alle Fragen zu geben. Wir versuchten Strukturen zu schaffen. Wir versuchten notwendigerweise uns einzufügen in den Politikbetrieb und damit kam es zu einer Angleichung, die die Individualität raubte. Wir verloren den Status als Protestpartei und diesen Bonus, der uns sicherlich über die Landtagswahlen in Berlin, Saarland, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein getragen hat, den werden wir auch nicht wieder bekommen, egal, was wir tun. Der Zauber von „neu und aufregend und ganz anders“ ist weg und wir konnten ihn nicht durch etwas neues, gleichwertiges ersetzen. Deshalb wurden wir dann nicht mehr gewählt. Deshalb werden wir jetzt nicht gewählt.
Was ist mit „Die Stärke der Piraten liegt im Wahlkampf“?
Lange Zeit hieß es, die Stärke der Piraten läge im Wahlkampf. Den würden sie meisterhaft beherrschen und trotz knapper Kassen und einem Bruchteil des Wahlkampfbudgets anderer Parteien einen Wahnsinns-Wahlkampf führen. Das war diesmal nicht so. Das war auch schon zur Landtagswahl in Niedersachsen nicht so. Wir haben Infostände gemacht, wir haben plakatiert, da steckte ganz, ganz viel persönlicher Einsatz drin, aber so richtig spektakuläre und auffallende Wahlkampfaktionen, die den Menschen in Erinnerung blieben, die gab es eigentlich nicht. Wir wollten eine echte Partei sein, wir wollten erwachsen sein und haben dabei den Mut verloren, den der hat, der nur gewinnen und nicht verlieren kann. Wir haben uns einfach nicht getraut, unsere Stärke auch wirklich auszuspielen.
Wieso haben wir es dann trotzdem nicht verkackt?
Verkackt haben wir es, wenn wir auf diesem Weg bleiben. Wenn wir uns auf Wahlergebnisse fokussieren, statt auf die Ziele, die wir erreichen wollen. Vielleicht gibt es keine Wählerschaft deutlich jenseits der zwei Prozent, die uns dauerhaft wählen würde. Vielleicht müssen wir akzeptieren, dass wir von den meisten Menschen für unsere Ziele nicht gewählt werden und der Protest-Bonus zu schnell verflogen ist, um uns noch in den Bundestag zu tragen. Wir haben jetzt zwei Möglichkeiten: wir können unser Programm so lange in alle Richtungen ausdehnen bis eine breite Wählerschaft ihre Ziele bei uns wiederfindet. Das werden wir aber nicht können, ohne unser grundlegendes Bild von der Politik über den Haufen zu werfen, das wird nicht gehen, ohne dass wir uns verbiegen. Das wäre der Punkt, an dem wir verkackt hätten, selbst wenn wir dann gewählt werden würden.
Keine andere Partei hat die Politik so sehr beeinflusst, ohne in den Parlamenten zu sitzen, wie die Piraten. Transparenz ist ein zentrales Thema in der Politik geworden. Der Bundestag diskutiert die Notwendigkeit eines Internet-Ministeriums. Datenschutz und Überwachung sind über Wochen und Monate ein Thema, über das überall gesprochen wird. Über Themen wie Urheberrecht und Leistungsschutzrecht, die die meisten Menschen nur sehr am Rande interessieren, wird diskutiert. Acta wurde ad acta gelegt. Die Piraten haben diesen Themen eine Stimme gegeben. Auch in Zukunft wird die Regierung, egal, wie sie aussieht, immer mit uns rechnen müssen: bei weiteren Verschlechterungen im Sozialsystem wird ihnen die Forderung nach dem BGE im Nacken sitzen, und sie werden sich zweimal überlegen, ob sie diese Forderung mit gegenteiliger Entwicklung stärken wollen. Bei Maßnahmen zur Überwachung wird Ihnen klar sein, dass es Menschen geben wird, die unangenehme Fragen stellen, die nachbohren und sich nicht ignorieren lassen. Wir geben diesen Menschen ein Gesicht und eine Struktur. Wir sind da – auch wenn wir nicht im Bundestag sind. Im Bundestag wären wir ohnehin nur eine kleine, kaum gehörte Fraktion. Außerhalb des Bundestags sind wir eine Menge von Menschen in einer Größenordnung, die nicht ignoriert werden kann. Irgendwann reicht das auch für den Bundestag, im Moment eben noch nicht. Na gut.
Das heißt nicht, dass wir nicht vieles ändern müssen. Das heißt nicht, dass wir keine Fehler gemacht haben. Das heißt nicht, dass wir nicht über Themen wie Organisation und Struktur, über interne Kommunikation und das Außenbild reden müssen. Es heißt nur, dass wir nicht verkackt haben. Noch nicht. Arbeiten wir daran, dass es so bleibt!
Ihr seid die dritte deutsche gutmenschenpartei. niemand braucht euch, denn wer linksgrüne politik will, kann die originale wählen. wer keine linksgrüne politik will, müßte verrückt sein, wenn er die piraten wählte. fazit: schmeißt die gutmenschen raus, oder es wird weiter bergab gehen.
Wir haben dich doch schon rausgeworfen. Und das ist gut-so-Mensch aber ehrlich!
gut für die grünen/linken und für die konservativen, weil linksgrüne spinner wie du weiter ihr unwesen traiben können. nur daß das eben prozente bei den wahlen kostet. zu schade!
treiben
Hey Ungenannte,
Du stellst in Deinem Artikel über die PP viele Fragen. Zum Beispiel, was anders ist als in den Zeiten, in denen wir Wahlen gewannen. Ich möchte einige Antworten geben:
* Es ist nicht gut, Fäkalsprache zu benutzen. Was auf dem Weg in die Kirche (Moschee, Synagoge) gilt, gilt auch in der Politik. Wer sich nicht angemessen auszudrücken vermag, hat es schwer, Vertrauen für seriöse Arbeitsplätze im Bundestag zu erringen.
* Was war an den Piraten 2011 anders? Wir waren eine Partei, die den Anspruch hatte, realistische Änderungen am politischen System in Deutschland vorzunehmen. Quasi „alternativlose“ Politik waren wir nicht bereit, hinzunehmen. Die PP 2013 hat sich in den folgenden Politikbereichen dem Alltagsbrei der CDU/SPD/Grünen/FDP angeglichen: Europapolitik, Währungspolitik, Steuerpolitik, Wirschaftspolitik, Klientelpolitik zugunsten diffuser Initiativen.
*Dafür haben wir nur schwache Aussagen in dem Programm zum Aspekt der Informationsfreiheit, der Netzwerkneutralität und zu der Frage, ob wir wie die Linken eine Planwirtschaft als Idealbild haben (= Kapitalismuskritik) oder uns zum marktwirschaftlichen System mit Grundrechtsschutz (Eigentumsgarantie) bekennen.
*Steuerpolitische Aussagen für Menschen, die Einkommensteuer zahlen (zB Arbeitnehmer): Fehlanzeige.
Dafür haben wir viele schöne Dinge in unserem Programm, die Geld kosten, die andere Parteien aber mit mehr Glaubwürdigkeit an den Mann bringen.
Das ist anders als 2011 und darum werden wir in den nächsten Jahren nicht in den Bundestag einziehen. Wir können viele Strukturdebatten führen. Es wird uns nicht gelingen, eine inhaltiche Alternative mit Schwerpunkten aufzustellen, die wir glaubhaft medial herüber bringen können. Darum können die Zeitungen über uns gar nichts anderes Schreiben, als dass es wieder Streit und Rücktritte mit Beleidigungen über Twitter gab. Das würde ich sicher auch machen, wenn ich mit Journalismus meine Brötchen verdienen müsste.
Aber wir haben ja genug Freizeit, um die 999. Petition auf Avaaz.org oder an den Bundestagspetitionsausschuss zu verfassen und zwischendurch noch zwei Demonstrationsaufrufe pro Monat zu veröffentlichen.
Wählen wir auf dem nächsten #LPT oder #BPT einen neuen langhaarigen Vorstand mit Mitleidsgesicht. Dann wird es sicher alles anders werden.
Trotzdem: Netten Blog, den Du da aufgesetzt hast! – nicht zu vergessen: Mit anderen Kandidatinnen und Kandidaten hätten wir auch nicht mehr %e heraus geholt.